Radsport & Beziehung, wie passt das zusammen?
Stand: 19.08.2016

Viele Radfahrer haben einen Partner, der zwar die Lust auf das Radeln teilt, aber vielleicht dann doch nicht mit der Intensität, mit der Rennradfahrer unterwegs sind. Aber was tut man nicht alles für seine(n) Liebsten?
Wer kennt nicht die vielleicht etwas überspitzt dargestellte Situation, wo man als trainierter Fahrer mit nahezu Ruhepuls dahin rollt, während die bessere Hälfte schon am Schimpfen ist, zu schnell, zu weit und der Hintern tut auch weh. Natürlich nimmt man das Tempo raus, natürlich vermeidet man Anstiege und natürlich steigt trotzdem bei Beiden der Frust darüber, dass dieses eigentlich schöne, gemeinsame Hobby letztendlich immer von einer gewissen Disharmonie begleitet wird.

Eine Lösung für dieses Dilemma ist schwierig. Wir haben es zuerst über das Material versucht (wohl wissend, das Material zwar wichtig ist, aber letztendlich braucht es trotzdem einen Fahrer, der es beschleunigen kann). Also wurde ein Fitnessbike angeschafft. Ziel: Weniger als 9Kg ohne Anbauten und eine vernünftige Schaltung.
Bei ROSE habe ich ein nettes Rad zusammen gestellt, was unseren Vorstellungen entsprach und womit sie auch mal Stadt- oder Einkaufsfahrten erledigen kann. Sportbereifung, abnehmbare Schutzbleche, ein abnehmbarer Gepäckträger, geringes Gewicht und eine Ultegra 6600 steigerten sichtlich das Vergnügen am Radfahren. So zufrieden meine Frau auch mit ihrem Flitzer ist, an der eigentlichen Problematik, der ungleichen, physischen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit änderte dies natürlich nicht viel.
Immerhin konnten wir nun 50-60Km lange Touren fahren, aber laaaangsam - für meine Verhältnisse. War es das jetzt? Keine Steigerung mehr möglich ohne gleich auf ein Pedelec zu wechseln?

Doch, es geht noch was. In einem MTB Forum bin ich auf einen Thread gestossen, in dem sich Tandem-Fahrer ausgetauscht haben. Was ich dort gelesen habe kam mir irgendwie bekannt vor. War das die Lösung?
Versuch macht kluch sagt man.
Über das Internet musste ich zwar lange suchen, fand aber nach einigen Wochen ein gebrauchtes Tandem, welches meinen Vorstellungen entsprach.

Das Rollverhalten auf der Strasse ist zwar trotz des Mittelsteges nicht optimal, dafür muss ich mir um die Routenplanung keine Gedanken machen. Mit diesem Geschoss kommt man überall durch......ausser die Verkehrsplaner haben die Sperrgitter am Beginn eines Radweges so eng gesetzt, dass man erst gar nicht auf den Radweg drauf kommt.
Die Hauptkriterien bei der Produktwahl waren neben der Rahmengrösse die Bremsen (hydraulische Scheibenbremsen sind Pflicht), eine einigermassen gute Schaltung (Rohloff war mein Traum ist aber richtig teuer, wurde daher nur eine Shimano) und wenn möglich unterschiedliche Laufräder (ich kann zwischen 26" und 28" Felgen wechseln).
Nach dem Kauf folgten die oblogatorischen, kleinen Umbauten: Lenker, Sattel, Sattelstütze und SPD-Kombipedale mussten dran. Da wir auch gerne abseits der Teerpisten unterwegs sind, habe ich unser Tandem erst mal mit MTB 52er Stollenreifen ausgerüstet.
Nur manchmal, da beschwert sie sich noch ein wenig, wenn ich die TF über 90 schraube, aber das ist ein ganz gutes Training für sie.
Vorne fahren als "Captain" (so nennt man das bei Tandemfahrern) will sie allerdings nicht. Als "Stoker" (der der hinten sitzt) fühlt sie sich sicherer.

Viele fragen immer wieder wie schnell man damit ist. In der Ebene kann man wirklich sehr gut Tempo halten. Pedelecs lassen wir hinter uns. Am Berg ist dem nicht so, was sicherlich auch der ungleichen Kraftverteilung geschuldet ist. Zudem muss man bedenken, dass das Tandem 9Kg schwerer ist als unsere beiden Einzelräder zusammen. Am Berg merkt man das. Dafür gehts bergab um so schneller. Das Eigengewicht drückt derart, dass ich bei einigen Abfahrten, wo ich mit dem Rennrad treten muss, mit dem Tandem alleine durch Rollen lassen auf den nahezu gleichen Speed komme. Einer der Gründe, warum hydraulische Scheibenbremsen unverzichtbar sind!

Inzwischen bestätige ich die Erfahrungen anderer Tandembesitzer, dass das gemeinsame Erleben auf dem Rad ein gänzlich anderes ist. Hier können starker und schwacher Fahrer problemlos harmonieren und die gemeinsamen Ausfahrten richtig geniessen. Niemand wird überfordert und trotzdem können alle ihre Kräfte so einsetzen, wie sie es möchten. Dass sich dadurch auch der Aktionsradius der Ausflüge drastisch erhöht dürfte nicht verwundern.
Und für die Rennradler unter uns, die auch für die Gallerie oder die Eisdiele fahren: Mit dem Tandem stehlen wir euch die Schau! Das überrascht freundliche Lächeln und Interesse der anderen Radfahrer und auch Passanten ist für uns als Tandemfahrer zum ständigen Begleiter geworden.

Also, worauf wartet ihr noch? Es ist bestimmt noch Platz im Keller!
Dann ging es auf die erste Fahrt. Die war ein echtes Erlebnis, vom ersten Moment an. An das lange Schiff und vor allem die gemeinsame Balance gerade beim Anfahren muss man sich erst mal gewöhnen. Wenn das Bike allerdings erst mal rollt ist das Fahren einfach nur genial. Trotz seines Gewichtes von 25Kg und der breiten Bereifung sind wir mit einem 25er Schnitt unterwegs. Jeder von uns beiden leistet, was er leisten kann oder will. Lasse ich an dem Tag mein normales Training am Rennrad aus, mache ich es auf dem Tandem. Ich kann mich komplett auspowern oder auch schöne lange GA1/2 Einheiten fahren, ohne meine Frau jemals so zu belasten, dass sie die Lust am Radfahren verlieren würde.
Das Radfahren wurde zu einem echten, gemeinsamen Erleben. Dadurch, dass sie hinter mir sitzt, können wir uns immer problemlos unterhalten Sie geniesst das unbeschwerte Rollen ohne auf die Strasse achten zu müssen und kann  die Umwelt in vollen Zügen geniessen.....und mir ab und an den Rücken kraulen.
Update
Im Juli 2016 waren wir
bei lieben Freunden im Chiemgau zu Besuch. Dort ergab sich die Gelegenheit mit Mountainbikes die nähere Umgebung zu erkunden.
Auf drei Touren waren dabei unsere Frauen mit MTB Pedelecs dabei. Dies war unsere erste Berührung mit den Schrecken aller Rennradler am Berg.
Meine Frau kam mit dem Rad und den relativ einfachen, intuitiven Einstellungen schnell zurecht. Und tatsächlich ist die gemeinsame Ausfahrt trainierte Männer mit Gelegenheitsradlerinnen überhaupt kein Problem. Im Gegenteil hatten wir Männer am Berg gegen die Pedelecs nicht den Hauch einer Chance. Auf mehreren, langezogenen Anstiegen mit bis zu 10% zogen sie an uns vorbei als würden wir stehen.....mit Puls am Anschlag.
Bergab laufen die Pedelecs sowieso problemlos. Erst als wir in der Ebene mit über 30km/h radelten konnten unsere Mädels nicht mehr folgen. Bei 25km/h riegelt die Elektronik ab und es wird wirklich Schwerstarbeit darüber hinaus zu beschleunigen. Damit wird also die Kombi Rennradfahrer mit Pedelec-Chaufeurin auf dem platten Land ein Problem, wenn man diese Geschwindigkeitsgrenze dauerhaft überschreiten möchte. Hier müsste man also in ein Bike investieren, welches eine Geschwindigkeitsklasse schneller unterwegs ist.
Insgesamt war es jedenfalls eine positive Erfahrung für die Frauen, besonders am Berg käftesparend unterwegs sein zu können.
Worauf sollte man beim Pedelec achten?
Auf jeden Fall alles ignorieren, was keine hydraulische Felgenbremse hat.
Der Akku sollte möglichst tief verbaut sein um den Schwerpunkt des Rades tief zu halten.
Der Akku sollte wenigstens 400Watt leisten. Im sparsamstem Eco-Modus war der Akku nach ca 600Hm und 65Km Wegstrecke runter bis auf 10%.
Wer es als Rennradfahrer aber nicht ab kann, dass seine bessere Hälfte ihm am Berg zeigt wo "Bartels den Most holt", der sollte allerdings einen Bogen um diese Räder machen.

In dem Sinne fröhliches, gemeinsames Radeln!
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